13 April 2012

Release me


Heute Nacht, als ich wieder einmal nicht schlafen konnte, landete ich beim Klassik Sender. Nein, diesmal rege ich mich ausnahmsweise mal nicht darüber auf, dass irgendwer irgendein Stück so schlecht dar geboten hätte, dass ich nur noch schreiend davon laufen mochte, ich rege mich auch nicht über die Stückauswahl auf (die war heute Nacht geprägt von den Klassikern der Klassik (wird auch als Weichspülklassik für Jedermann bezeichnet ;)

Das störte mich aber nicht weiter, manchmal darf es auch Mozart sein. Dann tönte Nessun Dorma über den Äther und ich muss gestehen, Pavarotti geht mir durch und durch – bin eben doch ein kitschiges Mädchen *prust*. Allerdings stellte ich mir zum ersten Mal die Frage: Was singt der Bengel da eigentlich (komisch eigentlich, normalerweise höre ich ungern Musik, deren Texte ich nicht verstehe - aber manchmal, wenns gar so schön ist, geht das schonmal unter)? Ich habs gegooglet und es ist schon etwa das, was man so erwartet bei so einer Klassikschnulze – soweit unbedenklich, darf man schon noch gut finden ;)
Dabei fiel mir aber eine Begebenheit aus meiner Jugend ein, von der ich eigentlich erzählen wollte.

Meine Mutter quälte uns alle ständig mit fröhlicher Volksmusik, wilden Partyschlagern und schwülstigen Schnulzen. Wenn sie das Radio anstellte, verschwand der Rest der Familie. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass wir uns in erster Linie vor der Hausarbeit drückten, weil wir weder die laute Musik, noch meine fröhlich, furchtbar falsch mitsingende und wie eine Matrone durch die Wohnung wirbelnde Mutter längere Zeit ertragen konnten ohne einen größeren Schaden davon zu tragen. Man kann als normaler Mensch einfach nur sehr sehr geringe Dosen von Tony Schallmarsch und Rosenresli Singmaus ertragen.

Besagte Mutter lauschte hin und wieder auch englische Schnulzen, nämlich vor allem dann, wenn diese von einem gewissen Engelbert Humperdinck vorgetragen wurden. Mit verträumtem Blick schwärmte sie davon, was für ein wundervoller Mann dieser Engelbert sei – so romantisch, gefühlvoll, gutaussehend, ach einfach ein Bild von einem Kerl (geiler Typ eben, oder was sagt man heute zu sowas?). Besonders liebte sie einen Song der sich „Please release me“ nannte und den sie voller Inbrunst mitsangsummte. Allerdings konnte meine Mutter kein Englisch und was sie da sang hatte wenig Ähnlichkeit mit dem, was Herr Hunperdinck intonierte. Irgendwann ertrug ich es nicht mehr und fragte sie, ob sie überhaupt wüsste, was sie da mitsingt und wovon sie da schwärmt. Aber klar weiß sie das, versicherte mir das ältliche Mädchen, er singt von der Liebe – Love heißt Liebe, das wüsste sie ganz genau. Fies und kaltherzig lächelnd übersetzte ich meiner Mutter den Refrain (ihr könnt ihn hier nachlesen: http://www.mp3lyrics.org/e/engelbert/release-me) und damit machte ich ihr klar, dass ihr Traumtyp da gerade davon singt, dass er von seiner Frau freigelassen werden möchte, sie ihn gehen lassen soll weil er sie nicht mehr liebt und sich neu verliebt hat.

Nachdem meine Mutter mich ungläubig anschaute musste ich ihr unter Zuhilfenahme eines Englischwörterbuches meine Übersetzung beweisen (das war noch zu einer Zeit, wo kaum jemand einen Computer hatte und auch das Internet wie wir es kennen existierte nicht). Als sie mir endlich glaubte, was ihr Traummann da sang, erging sie sich in wüste Beschimpfungen über den plötzlich gar nicht mehr so tollen Schnulzensänger. Plötzlich war er verroht, gefühlskalt, ein Ar... und nicht mehr tragbar. Fortan musste ich zumindest das Sangesgeschwurbel dieses Helden des Schmalzes nicht mehr ertragen, der war bei Muttern untendurch. Und ich frage mich, wie viele Hits es wohl nicht in die Hitparaden geschafft hätten, wenn die lieben Damen und Herren, die ihnen inbrünstig lauschen, den Text verstehen würden? 

Ein Videobeispiel aus neuerer Zeit hätte ich hier zu dem Thema - nicht jugendfrei!



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